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Gezähmte Märkte brauchen gezähmte Menschen – Kirchenkritik an zu vielen Billigjobs

Bonn > Kritik an der hohen Zahl unsicherer und niedrig bezahlter Arbeitsverhältnisse in Deutschland hat der EKD-Ratsvorsitzende, Präses Nikolaus Schneider (Düsseldorf), geübt und dabei die eigene Institution nicht ausgenommen. Auch die Kirche sei „kein Gegenüber, sondern ein Teil der Gesellschaft“, sagte Schneider am 25. Januar bei einer Podiumsdiskussion zum Thema „Gezähmte Märkte und verantwortete Freiheit“ in Bonn. So gebe es „manche Diskussionen in der Diakonie, die wenig Freude bereiten, aber wir müssen sie führen“. Schneider spielte damit auf die Kritik an diakonischen Einrichtungen an, die Beschäftigte aus unteren Lohngruppen in häufig nicht tarifgebundene Tochtergesellschaften ausgegliedert haben und ihnen so geringere Löhne zahlen können. Die Entwicklung der Arbeitsverhältnisse biete Anlass zur Sorge. Er sehe dringenden sozialpolitischen Nachholbedarf, sagte Schneider. Die Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, die niedrig bezahlt und nicht auf Dauer angelegt sind, liegt in Deutschland bei rund acht Millionen. Schneider hatte bereits im vergangenen Jahr kritisiert, dass acht Prozent der Arbeitsplätze (35.000) bei der Diakonie in Tochtergesellschaften ausgelagert seien. Sie beschäftigt in Deutschland rund 435.000 Mitarbeiter.

Soll der Staat Gehälter regulieren?

Wie der Präses bei der Diskussion weiter sagte, brauche die Gesellschaft Einigkeit darüber, welche Ziele sie bei der Gestaltung des Wirtschaftslebens verfolge. „Ist der Zusammenhalt der Gesellschaft im Sinne der Egalität der Einkommen ein Ziel?“ fragte Schneider. Wenn der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann (Frankfurt am Main), im Vergleich zu seinen Mitarbeitern das 300-fache Gehalt beziehe, drücke dies nicht ein entsprechendes Mehr an Leistung aus, sondern Machtverhältnisse. Damit die Gesellschaft friedlich zusammenleben könne, sei eine „Begrenzung für den Weg nach oben und den Weg nach unten“ nötig, so Schneider.

Lob für Unternehmer

Der EKD-Ratsvorsitzende zollte deutschen Unternehmer aber auch Lob: Sie hätten in der Finanz- und Wirtschaftskrise hohes Verantwortungsbewusstsein für ihre Mitarbeiter und ihre Unternehmen gezeigt. Hinsichtlich der künftigen Gestaltung des Wirtschaftslebens sei er für einen offenen und freiheitlichen Prozess. Für ihn gehe es weder um ein „Privat vor Staat“ noch um ein „Staat vor Privat“, sondern um ein ausgeglichenes Verhältnis. Nach Schneiders Überzeugung werden in Zukunft ökologische Fragen den Rahmen vorgeben, nach dem sich andere Systeme auszurichten haben. Die Kirche müsse bei allen Diskussionen über Wirtschaftssysteme deren Auswirkungen auf die Schwachen ins Bewusstsein rufen.

„Verhalten der Bosse“ ist stilbildend

Der Leiter des Teams Wirtschaftspolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung, Matthias Schäfer, wandte sich dagegen, die Gehälter von Spitzenmanagern wie Ackermann zu regulieren. Das „Verhalten der Bosse“ sei aber stilbildend für ihre Häuser und habe Signalwirkung. Nach Ansicht Schäfers sind Bürger, die in Vereinen und anderen sozialen Gruppen verwurzelt sind, weniger anfällig für ein übertriebenes Handeln im Wirtschaftsleben: „Zu gezähmten Märkten gehören gezähmte Menschen.“ Der Wirtschaftsethiker Prof. Dominik Enste vom Institut der Deutschen Wirtschaft (Köln) forderte, Wirtschaftsethik zum Pflichtfach in der Ausbildung aller Investmentbanker zu machen.

Geht es den Deutschen besser oder schlechter?

Enste bezeichnete das deutsche System der Sozialen Marktwirtschaft als erfolgreich, was sich auch daran zeige, dass es den Deutschen wirtschaftlich immer besser gehe. Die Bruttolöhne in der Industrie seien heute 20 Mal höher als vor 60 Jahren. Die Angst vor einem Schrumpfen der Mittelschicht sei unbegründet: Diese sei nach Untersuchungen seines Instituts über lange Zeiträume sehr stabil. Dem widersprach der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomik und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Prof. Gustav-Adolf Horn (Düsseldorf): Seit dem Jahr 2000 drifte die Gesellschaft massiv auseinander. Einem durchschnittlichen Haushalt stehe heute real weniger Geld zur Verfügung als vor zehn Jahren. Es gebe zwar Wirtschaftswachstum, doch dies werde ungleich verteilt.

Foto: der rheinische Präses und EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider


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