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Kreative Beiträge zum Demokratisierungsprozess: Ägypter hoffen auf Wandlungskraft von Unternehmen

In Ägypten tätige Unternehmen sind gefordert, ihr Wirtschaften zu überdenken, um in der Umbruchphase nicht auf der Strecke zu bleiben. Die Revolution hat nicht nur einen politischen Wandlungsprozess angestoßen, sondern katapultiert das Land auch in ein neues Verhältnis zwischen Verbrauchern und Produzenten, Kunden und Anbietern. In Zukunft wird es auch in Ägypten nicht mehr ohne Weiteres möglich sein, unverantwortlich zu wirtschaften, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Unternehmen tun in ihrem eigenen Interesse gut daran, ihr Verantwortungsmanagement zu professionalisieren.

Von Ulrike von Rücker und Alexandra von Winning (CSR MAGAZIN)

Nach fast 60 Jahren des sozialistisch geprägten, staatlich gelenkten Wirtschaftens befindet sich Ägypten im Transformationsprozess in eine moderne Marktwirtschaft. Zu tun gibt es genug: ein kontraproduktiver Interessenkonflikt durch die enge Verflechtung von Militär und Wirtschaft, der Mangel an qualifizierten und motivierten Mitarbeitern, Korruption bei der Vergabe von Aufträgen oder bei der Abwicklung von Importgeschäften, eine umweltschädliche Produktion und ein ebenso umweltschädlicher Vertrieb sind nur einige Beispiele von Missständen. In den Tagen der Revolution haben einige Unternehmen zum ersten Mal „Farbe bekannt“: Sie lieferten Lebensmittel, Medikamente und Decken an die Demonstranten auf dem Tahrirplatz, Mitarbeiter wurden für Demonstrationen freigestellt, es gab Sonderzahlungen für Arbeiter, die während der unruhigen, gewaltreichen ersten Tage Ende Januar über Nacht in den Fabriken blieben, um ‚ihr’ Unternehmen zu verteidigen. Dies wird sehr positiv bewertet, denn niemand hatte damit gerechnet – profitorientierte ‚businessmen’ unterstützen das gemeine Volk, gehen Seite an Seite mit ihnen auf die Straße. Das ist neu, doch für die nachhaltige Übernahme von Verantwortung durch Unternehmen ist noch ein weiter Weg zu gehen.

Viel Arbeit und wenig Lohn

Bislang haben sich viele nicht engagiert, meistens mit dem Hinweis, als einzelnes Unternehmen könne man eh nichts tun, oder man hätte nur Nachteile, wenn man sich „besser“ als der Rest verhalte. Ägyptische Unternehmer gelten als notorisch am kurzfristigen finanziellen Vorteil interessiert. Sie haben den Ruf, ihre Mitarbeiter auszubeuten: Lange Arbeitszeiten, schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Bezahlung und Umweltverschmutzung gehören zum Standard. Internationale Unternehmen gelten allgemein als die „besseren“ Arbeitgeber, denn sie zahlen zumeist höhere Löhne und bieten bessere Arbeitsbedingungen. Doch auch sie stellen fast nur befristetet Verträge aus, investieren wenig in ihre Mitarbeiter und gehen selten über die recht niedrigen Standards hinaus, die – oft mangels lokaler Gesetzgebung – zumindest von ihren Mutterunternehmen vorgegeben werden.

Als Grund für das geringe gesellschaftliche und ökologische Engagement der Wirtschaft werden neben dem Prinzip von „Hannemann, geh du voran“ oft die ägyptischen Gesetze angegeben. „Wir würden gern, aber uns sind die Hände gebunden“ lautet ein typisches Statement von Arbeitgebern. Doch auch bei widrigen Bedingungen können Unternehmen eine doppelte Verantwortung wahrnehmen, nämlich eine interne und eine externe: Zum einen tun sie gut daran, durch nachhaltiges Wirtschaften im eigenen Hause Vorreiter im Transformationsprozess zu werden. „Firmen müssen Botschafter des Wandels werden, in dem sie selbst einen ‚code of conduct‘ entwickeln, Bewusstsein dafür bei ihren Mitarbeitern schaffen und diese in die Lage versetzen, sich entsprechend zu verhalten und ihr Management in die Verantwortung nehmen zu können“, sagt Allana Haist, eine seit mehreren Jahren in Ägypten arbeitende Kanadierin und Mitgründerin des ägyptisch-deutschen Nanotechnologieunternehmens Sabry Corp.

Engagement zahlt sich aus

Zum anderen können Unternehmen auch extern Verantwortung übernehmen, indem sie die gesellschaftliche Ordnung Ägyptens fördern, da stabile gesellschaftliche Bedingungen, Bildung, Gesundheit der Mitarbeiter und eine funktionierende Infrastruktur maßgeblich das Wirtschaften beeinflussen. „Unternehmen können durch kreative Projekte den Demokratisierungsprozess Ägyptens unterstützen oder in die Bildung und Gesundheit oder Aufklärung ihrer Mitarbeiter investieren. Solange sie hierfür nicht bestraft werden, wie es in der Vergangenheit möglich gewesen wäre, braucht es für ein solches Engagement keine Gesetze und es zahlt sich langfristig sogar aus,“, urteilt die Mitarbeiterin einer deutschen NGO, die namentlich nicht genannt werden möchte.

Viele Ägypter setzen nicht erst seit der Revolution große Hoffnungen auf die Wandlungskraft von Unternehmen. Mariam El Hitami, ägyptische Unternehmerin und CSR-Beraterin, sieht jedoch auch Hindernisse. „Sicher gibt es nach der Revolution viele Unternehmen, die sich in Richtung good corporate citizenship verändern, aber zu viele verwechseln Unternehmensverantwortung immer noch mit Wohltätigkeit und Nächstenliebe.“ Es fehle den Unternehmen an Wissen und praktischer Anleitung, wie sie besser sein könnten. Multinationale Unternehmen hätten es in dieser Hinsicht schon leichter, da sie sich an internen Richtlinien orientieren könnten, und seien daher weiter vorn auf dem Weg zum gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmen.

Verbraucherführer zu guten Produkten

„Vor dem 25. Januar war die Werbewirksamkeit sicher ein Hauptgrund für gesellschaftliche Verantwortungsübernahme. Derzeit wandelt sich das Bewusstsein hin zu einem besseren Verständnis des Verhältnisses zwischen verantwortungsvollem Unternehmertun und der Absicherung des eigenen Überlebens.“ El Hitami erwartet, dass in Ägypten tätige Unternehmen in der nahen Zukunft endlich mehr nach Initiativen Ausschau halten werden, die sowohl geographisch als auch inhaltlich zu ihnen passen und tatsächlichen Wandel bewirken – auch in ihrem eigenen Interesse. Derzeit entsteht ein ‚Konsumenten- und Investitionsführer’, der Verbraucher, Kleinanleger und Investoren bei der Identifikation der‚guten’ lokalen Produkte und Unternehmen unterstützen soll. Das könnte für Unternehmen ein weiterer Anreiz sein, sich dem Wettbewerb der Verantwortung zu stellen.

Mittelständische, lokale Unternehmen sind nach Ansicht vieler Ägypter wesentlich wichtiger für den Wandel der ägyptischen Gesellschaft und Wirtschaft als die großen, denn sie sind kreativer und flexibler. Die Frage ist allerdings, ob und wie sie die aktuelle Krise überleben werden. „Die größte Herausforderung ist, das Überleben der kreativen, inspirierenden, nach Wandel rufenden Stimmen zu sichern und ihnen Chancen zum Wachstum zu bieten. Innovativ denkende, junge Unternehmer sind diejenigen, die das Land wieder auf die Beine bringen werden“, sagt Allana Haist. Es sei aber zu befürchten, dass Wissenschaft, Innovation, und Unternehmertum in der derzeitigen Umbruchsituation zunächst einmal leiden werden, und die Auswirkungen auf die weitere Entwicklung des Landes könnten dramatisch sein.


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