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Mit Sandstrahlern und Säurebädern gegen das radioaktive Erbe

Bis Ende 2022 sollen alle deutschen Atomkraftwerke stillgelegt werden, so will es das vom Bundestag beschlossene Ausstiegsgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung. Zehn bis 15 Jahre dauert es nach Angaben von Experten in der Regel mindestens, bis einstige Atomkraftwerke vollständig abgerissen und ihr strahlendes Inventar beseitigt ist. Wie aufwändig die Beseitigung stillgelegter Reaktoren ist, lässt sich gut im ehemaligen DDR-Atomkraftwerkskomplex von Lubmin bei Greifswald beobachten.

Von Aurelia End

Lubmin > Bis Ende 2022 sollen alle deutschen Atomkraftwerke stillgelegt werden, so will es das vom Bundestag beschlossene Ausstiegsgesetz der schwarz-gelben Bundesregierung. Die radioaktiven Altlasten des deutschen Nuklearzeitalters aber werden das Land noch länger beschäftigen. Zehn bis 15 Jahre dauert es nach Angaben von Experten in der Regel mindestens, bis einstige Atomkraftwerke vollständig abgerissen und ihr strahlendes Inventar beseitigt ist.

Wie aufwändig die Beseitigung stillgelegter Reaktoren ist, lässt sich gut im ehemaligen DDR-Atomkraftwerkskomplex von Lubmin bei Greifswald beobachten. 1995 begannen dort die im Behördendeutsch als “Rückbau” bezeichneten Arbeiten. Heute, rund 15 Jahre später, laufen Dekontamination und Entsorgung auf dem Gelände des früheren “Kombinats Kernkraftwerke Bruno Leuschner” an der Ostsee noch immer.

Von den 5500 Angestellten, die vor der Wiedervereinigung in dem Akw-Komplex arbeiteten, blieben 830 für die Stilllegungsarbeiten zurück. Am Anfang sei es “learning by doing” gewesen, sagt Marlies Philipp, Sprecherin des Kraftwerks. Aber jetzt hoffe man mit der gesammelten Erfahrung, Aufträge beim “Rückbau” westdeutscher Akw zu erhalten. “Wir wollen die Arbeitsplätze der Menschen hier behalten, weil noch nicht alle das Rentenalter erreicht haben”, ergänzt sie.

Das Kraftwerk in Lubmin beherbergte einst fünf der sechs Atomreaktoren der ehemaligen DDR. Als es 1990 vom Netz genommen wurde, deckten die Meiler aus sowjetischer Serienfertigung etwa elf Prozent des Strombedarfs des Landes.

Die Menge der am Standort Lubmin zu entsorgenden Materialien beläuft sich nach Angaben des heutigen Besitzers, der bundeseigenen Energiewerke Nord (EWN), auf etwa 1,8 Millionen Tonnen. Rund 1,2 Millionen Tonnen sind nicht radioaktiv, meist handelt es sich um Bauschutt von Gebäuden. Problematisch sind die etwa 600.000 Tonnen strahlender Metall- und Betonteile. Sie müssen in speziellen Verfahren dekontaminiert werden. Erst 2013 oder 2014 werden die Arbeiten, die bereits etwa 4,1 Milliarden Euro verschlangen, voraussichtlich beendet sein.

Besucher, denen Zugang zu den Dekontaminierungsbereichen im Inneren des Akw gewährt wird, müssen Geigerzähler zur Messung der Strahlendosis sowie spezielle Arbeitsanzüge tragen. Die Arbeiter sitzen dort in abgeschotteten Containern mit Luken und verwenden Hochdruckwasserstrahler, Sandstrahlgebläse oder Säurebäder, um einen Raum nach dem anderen zu dekontaminieren. Meist reicht es, die Oberflächen von Wänden oder Metallrohren durch solche Verfahren abzutragen, da nur sie strahlen. Im Reaktorkern aber sind alle Teile radioaktiv. Sie müssen als Ganzes endgelagert werden.

Und auch die Entseuchung der nur oberflächlich kontaminierten Bauteile birgt erhebliche Schwierigkeiten. “Glauben Sie nicht, dass die Radioaktivität einfach verschwindet”, erklärt Uwe Kopp, der eine der Dekontaminationstationen leitet. Wenn verseuchte Materialschichten abgeschliffen oder abgefräst werden, entsteht radioaktiver Staub, der sich am Boden ansammelt. Auch er muss entsorgt werden.

Am Ende werden die fertig bearbeiteten Maschinenteile in Kisten gelagert, in denen sie auf die abschließende Radioaktivitätsmessung warten. Danach werden sie entweder zum Recycling freigegeben oder zur Endlagerung gebracht – alles strengstens überwacht. “Man kann keine einzige Niete aus dem Verkehr ziehen, ohne ein Dokument in dreifacher Ausfertigung auszufüllen”, betont Philipp.

Aber nicht nur die Beseitigung der radioaktiven Hinterlassenschaften dauert lange. Die Schließung des Lubminer Akw versetzte den Menschen vor Ort einen Schlag, der bis heute nachwirkt. Der Standort sei aus “wirtschaftlichen und politischen Gründen” geschlossen worden, sagt Philipp. “Wir waren stolz auf unser Kraftwerk.” Und die ehemalige Ingenieurin ergänzt: “Heute sind es unsere Kollegen im Westen, die dasselbe erleben müssen. Nun sind sie an der Reihe.”


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