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Nachhaltigkeitsratings: intransparent, unterfinanziert, am Kerngeschäft vorbei

Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrisen drängen Ratingagenturen massiv in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Während auf dem weitgehend monopolisierten Markt der Bonitätsratings wenige Giganten mit den politischen Machtzentren auf Augenhöhe verhandeln, präsentiert sich der Markt für die Nachhaltigkeits- und CSR-Bewertung von Unternehmen fragmentiert und dynamisch – und damit für die Stakeholder undurchsichtig. Die Berichtreihe „Rate the Raters“ der SustainAbility bemüht sich um Aufklärung.

Von Christoph Schank

Während Verhandlungsführer in Brüssel über das Schicksal der Währungsunion befinden, richtet sich ihr Blick nicht allein nach Süd- und Südosteuropa, sondern immer häufiger auch über den Atlantik nach New York. Dort, in den Bürogebäuden der Standard & Poor’s und Moody’s, ist mit den Ratingagenturen ein Kraftzentrum erwachsen, dem sich die politischen Machthaber nicht mehr verschließen können und vom dem sie heute mehr denn je abhängig sind.

Die Kontroverse um Einfluss und Macht der Ratingagenturen verdeutlicht eindrucksvoll die Bedeutung von zwei zentralen Gütern im Marktgeschehen: Information und Vertrauen. Wo nicht jeder Marktteilnehmer wie der „Modellmensch“ der neoklassischen Wirtschaftstheorie über perfekte Informationen verfügt, tritt Vertrauen an diese Stelle. Vertrauen darauf, dass Nationalstaaten ihre Haushaltsdefizite zurückfahren, Renditeversprechen eingehalten werden und Unternehmen nachhaltig und gesellschaftlich verantwortungsbewusst wirtschaften. Eine regelmäßige Erschütterung dieses Vertrauens erklärt die ansteigende Nachfrage nach Ratings für Investoren, Konsumenten und politische Entscheidungsträger.

Angebot und Nachfrage wachsen – und Unsicherheit

Bereits in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2005 wird festgehalten, dass „Strukturen eines eigenständiges Marktes für Informationsdienstleistungen zur Nachhaltigkeit bzw. Corporate Social Responsibility mit internationaler Ausrichtung nachweisbar“ sind. Neben den spezialisierten Nachhaltigkeitsagenturen gehören Geschäftsbanken wie die UBS und die Bank Sarasin & Cie AG zu den Pionieren dieses Marktes und dokumentieren damit ein frühzeitiges Interesse an einem Investment zu ökologischen und sozialen Bedingungen. Dass sich eine hohe Anzahl an Nachhaltigkeitsagenturen – trotz Konsolidierungen in der Krisenzeit – auf einem umkämpften Markt behaupten können, ist Ausdruck einer zunehmenden Bedeutung von Nachhaltigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen. Längst gehört nicht nur eine verschworene Gemeinschaft zu den Nachfragern, sondern auch die Unternehmen selbst, die immer gezielter den Benchmark innerhalb der eigenen Branchen suchen und sich im Wettbewerb um Konsumenten, Anleger und Fachkräfte auch über ihre Nachhaltigkeits- und CSR-Strategie differenzieren.

Mit wachsendem Bedarf und steigender Anzahl der Alternativen zeigen sich in der Branche erste Ansätze für geteilte Qualitätsstandards. Der Verband der unabhängigen Nachhaltigkeits-Agenturen (AI CSRR) bietet interessierten Agenturen auf freiwilliger Basis eine Auditierung nach internationalen Standards an, die neben Anforderungen an die methodische Qualität und die Transparenz auch einen Verhaltens- und Ehrenkodex einfordert. Dieser bislang umfangreichste Versuch zur Sicherstellung von Qualitätsstandards hat die hoch gesteckten Erwartungen bislang jedoch nicht einlösen können: Seit der Einführung 2007 haben sich lediglich 14 Nachhaltigkeitsratingagenturen aus verschiedenen Ländern, davon zwei aus Deutschland, dem Zertifizierungsprozess unterzogen.

Investoren, Konsumenten und Unternehmen stellen sich damit noch immer zentrale Fragen: Welches Rating setzt sich mit den für mich interessanten Fragen auseinander? Welches Rating setzt auf eine zuverlässige Methodik? Wie ist es um die finanzielle und organisationale Unabhängigkeit der Agenturen bestellt? Diese und weitere Fragen bilden den Anstoß für das Forschungsprogramm „Rate the Raters“ der SustainAbility, das Anfang 2010 begann und Anfang 2012 seinen Abschluss finden wird. Die Untersuchung, die mehr als hundert Ratings und verschiedene Experten einbezog, formuliert dabei mögliche Entwicklungstendenzen.

Blick in die Zukunft

Die gestiegene Bedeutung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Vielzahl der Ratings kaum finanziell tragfähig sind und ihre Dienstleistung nur selten zu kostendeckenden Preisen erbracht werden kann. Damit verbunden ist die Fragestellung, wer schlussendlich für die Kosten des Ratings aufzukommen hat. Das bislang vorherrschende Modell, bei dem die Kosten von den Nachfragern (Investoren, Konsumenten und auch Unternehmen) selbst getragen werden, trägt nicht alle am Markt aktiven Ratings; viele Anbieter setzen auf diversifizierte Finanzierungen oder gründen diese auf Zahlungen der zu bewertenden Unternehmen – mit allen damit einhergehenden Konflikten. Nicht nur aus diesem Grund erachtet SustainAbility die Konsolidierung des Marktes nach einer noch andauernden Wachstumsphase für wahrscheinlich. Die Zukunft wird wenigen Qualitätsführern gehören. Diese zukünftige Qualität der Ratings wird entscheidend von der Weiterentwicklung der Methoden und der Datengewinnung abhängen. Das bisher vorherrschende Vorgehen, nach dem eine Ratingagentur jeden Schritt von der Datensammlung über die Analyse bis zur Kundenkommunikation selbst durchführt, verzichtet auf Synergien, die etwa mittels einer von spezialisierten Unternehmen ausgearbeiteten Datensammlung erzeugt werden könnten. Damit verbunden ist die Entwicklung hin zu mehr Transparenz, nicht nur in der Methodik, sondern auch im Umgang mit möglichen Interessenkonflikten.

Aufmerksam werden lässt die Feststellung, dass ein Großteil der Ratings heute noch am Kerngeschäft der Unternehmen vorbeigeht: „We currently observe too many sustainability ratings that pay insufficient attention to core business issues such as ethics, compliance, risk management and financial performance.“ Gerade auf diesen Feldern werden sich die Ratings der Zukunft beweisen müssen.


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