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Unternehmen in Lateinamerika: moderne Philanthropen?

Lateinamerikas schwache Staaten sind häufig auf das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen angewiesen. Die entwickeln Infrastruktur, sorgen für soziale Sicherheit und lernen zugleich, worin eine systematische CSR eigentlich besteht.

Lateinamerikas schwache Staaten sind häufig auf das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen angewiesen. Die entwickeln Infrastruktur, sorgen für soziale Sicherheit und lernen zugleich, worin eine systematische CSR eigentlich besteht.

Von Ronald Kröker

CSR wird in Lateinamerika zumeist unter der spanischen Bezeichnung „Responsabilidad Social Empresarial“ (RSE – Unternehmerische Soziale Verantwortung) diskutiert. RSE kann als Synonym von CSR betrachtet werden. CSR ist nicht nur durch soziale, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen maßgeblich geprägt, sondern auch durch religiöse und kulturelle Gegebenheiten.

CSR wird oft noch mit Philanthropie in Verbindung gebracht. Unter dem Begriff „filantropía“ wurde vom 16. bis ins 19. Jahrhundert das gesellschaftlich-karitative Engagement der katholischen Kirche und der herrschenden Oberschicht zusammengefasst. Diese setzten sich für Unterprivilegierte und Arme ein und engagierten sich für Bildung, Gesundheit sowie Kultur. Die Wohlhabenden wollten durch philanthropisches Engagement allerdings nicht nur ihren religiös-christlichen Wertvorstellungen gerecht werden. Ihre Absicht war, dadurch ihrer Überlegenheit Nachdruck zu verleihen. Die politische und wirtschaftliche Schwäche vieler lateinamerikanischer Staaten, wie Peru, Bolivien, Argentinien, Brasilien, Uruguay und Mexiko, bot den Wohlhabenden eine gute Ausgangslage zum Ausbau ihrer Vormachtstellung in der Gesellschaft.

Nachdem zum Ende des 20. Jahrhunderts die Staaten Lateinamerikas den Übergang zur Demokratie erfuhren, machte sich eine neoliberale Wirtschaftspolitik breit. Viele Länder privatisierten staatliche Einrichtungen und zogen sich mehr und mehr aus diversen Sozialbereichen zurück. Dies stärkte die Rolle des Privatsektors weiter.

Schwache Staaten trotz Wachstum

Nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich Lateinamerika schnell erholt und die Wirtschaft erlebt ein dynamisches Wachstum. Dennoch gehören Armut und ungleiche Einkommensverteilung in nahezu allen Ländern Lateinamerikas zu den größten sozialen Herausforderungen. Auf politischer Ebene kämpfen viele Staaten weiterhin gegen innere Unsicherheiten sowie schwache, inkompetente und ineffiziente öffentliche Einrichtungen. Die Konsolidierung der Demokratie steht in einigen Staaten, beispielweise Bolivien, Paraguay, Ecuador, Venezuela und Nicaragua, nach mehr als 20 Jahren Übergang zu demokratischen Staatsformen immer noch auf wackeligen Füssen. Neben der materiellen Armut macht vor allem die moralische Armut der Region zu schaffen. Dazu gehören die um sich greifende Korruption, organisierte Kriminalität, Drogenhandel, eine mangelnde Strafverfolgung und die Schwarzarbeit. Viele Regierungen sind mit den Problemen überfordert.

Unternehmen statt Staat

Diese Gegebenheiten bilden zugleich eine zentrale Herausforderung für Unternehmen und ihre gesellschaftliche Verantwortungsübernahme. Natürlich muss CSR auch in Lateinamerika einen unmittelbaren unternehmerischen Nutzen erbringen. Allerdings wird von ihr in dieser Region auch verlangt, dass sie einen gewichtigen Beitrag zur Entwicklung des Landes und der Gesellschaft leistet. Aufgaben wie die Verbesserung der Infrastruktur oder der sozialen Sicherheit können in Lateinamerika durchaus ins Spektrum der CSR-Aktivitäten fallen.

Der Privatsektor kompensiert dabei die defizitären öffentlichen Dienste oder gar die weitgehende Abwesenheit des Staates durch (CSR-)Investitionen in Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur. Der Schwerpunkt des unternehmerischen gesellschaftlichen Engagements hat sich damit nach der Wende zur Demokratie nur unwesentlich verlagert. Während die gesellschaftliche Komponente der CSR nach wie vor im Vordergrund steht, rücken ökologische Belange relativ langsam auf die Agenda der Unternehmen. Letzteres hängt eng mit einem schwachen Bewusstsein und Interesse der Lateinamerikaner für Umweltprobleme zusammen.

CSR statt Philanthropie

Obwohl CSR-Förderer seit knapp 20 Jahren auf eine klare Differenzierung drängen, verwechseln viele Firmen CSR immer noch mit Philanthropie und deren vereinzelten und reaktiven Hilfsmaßnahmen etwa bei Naturkatastrophen. CSR-Förderer verlangen zwar, dass die CSR in der DNA, d.h. im Kerngeschäft des Unternehmens, verankert wird. Davon sind die Latino-Firmen allerdings noch relativ weit entfernt. Im Vordergrund der CSR-Aktivitäten stehen zwar auch die eigenen Mitarbeiter, jedoch wird bei der Herstellung der Produkte oder beispielsweise in der Zulieferkette eher weniger bis gar nicht auf CSR geachtet. Dies ergibt sich aus den äußeren Umständen: Externe soziale Verantwortungsübernahme wird – etwa von den Konsumenten – noch mehr honoriert und daher auch als vorrangig eingestuft.

Die ersten Impulse zu einer systematischen gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung gingen in Lateinamerika von ausländischen, insbesondere nordamerikanischen Firmen aus. Diese multinationalen Unternehmen sind den einheimischen in puncto CSR oftmals deutlich überlegen. Für eine flächendeckende Bekanntmachung und Verbreitung der CSR setzen sich vorwiegend die CSR-Förderer ein. Zu diesen Katalysatoren gehören zum einen die nationalen Organisationen wie Unternehmensverbände, Unternehmensstiftungen und Unternehmenskammern. Nationale CSR-Förderer sind mittlerweile fast in jedem lateinamerikanischen Land vorzufinden. Sie funktionieren meistens als Netzwerke, denen sich CSR-interessierte Unternehmen anschließen können. Die nationalen CSR-Förderer sind wiederum häufig Mitglieder internationaler bzw. lateinamerikanischer CSR-Dachorganisation, etwa bei Forum Empresa und PLARSE.

CSR-Förderer konzipieren Richtlinien zur Einführung und Bewertung von CSR-Aktivitäten und -Berichterstattung, erstellen CSR-Label und –Preise, veröffentlichen Fallbeispiele oder bieten finanzielle Unterstützung und beratende Begleitung von CSR-Projekten. Regierungen verhalten sich noch sehr zurückhaltend gegenüber der CSR-Thematik, wodurch den CSR-Förderern eine starke Verbreitungs- und Förderfunktion zufällt. Ähnlich ist das Verhalten der lokalen Konsumenten zu bewerten. Sie achten zwar vereinzelt auf soziale und ökologische Aspekte bei ihren Kaufentscheidungen. Allerdings können sie derzeit noch nicht als CSR-Treiber betrachtet werden. Die CSR-Anforderungen ausländischer Kunden hingegen sind durchaus als unternehmerische CSR-Motivation anzusehen.

Nach wie vor besteht die größte Herausforderung darin, den neuen Ansatz unternehmerischen gesellschaftlichen Engagements flächendeckend bekannt zu machen und Unternehmen bei der Umsetzung zu unterstützen. Die lateinamerikanischen Firmen brauchen Anführer und Begleiter, die ihnen den „CSR-Weg“ zeigen und sie immer wieder motivieren.

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