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Sumangali-Schema indischer Spinnereien – Sklaverei auf Zeit

Tirupur heißt die Textilregion im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Eine halbe Million Menschen arbeiten dort in den Nähereien, Färbereien und Druckereien. Dazu zählen schätzungsweise 120.000 junge Frauen, die unter dem Sumangali-Schema arbeiten: Für ein Taschengeld, oft deutlich länger als die zulässigen 60 Wochenstunden, auf den Fabrikgeländen kaserniert und in der Hoffnung darauf, nach zwei oder drei Jahren ein Brautgeld zu erhalten.

Osnabrück (csr-news) – Tirupur heißt die Textilregion im südindischen Bundesstaat Tamil Nadu. Eine halbe Million Menschen arbeiten dort in den Nähereien, Färbereien und Druckereien. Dazu zählen schätzungsweise 120.000 junge Frauen, die unter dem Sumangali-Schema arbeiten: Für ein Taschengeld, oft deutlich länger als die zulässigen 60 Wochenstunden, auf den Fabrikgeländen kaserniert und in der Hoffnung darauf, nach zwei oder drei Jahren ein Brautgeld zu erhalten.

„Menschenhandel lohnt sich in Indien immer noch“, sagt die Kinderrechtsexpertin von terre des hommes, Barbara Küppers. „Arbeitsvermittler“ ziehen über die Dörfer in Tamil Nadu und den angrenzenden Bundesstaaten und sprechen gezielt junge Frauen ab 14 Jahren und ihre Eltern an. In der Mehrzahl der Fälle werden diese jungen Frauen ausgebeutet: Die Unterkünfte glichen teilweise „Hühnerställen“, das Essen sei schlecht und die Mädchen völlig von den Fabrikbesitzern abhängig, so die Kinderrechtsexpertin. In diesem Klima gedeihen sexuelle Übergriffe und Gewalt. Indische Partner-NGOs von terre des hommes hätten bereits über 1.000 Fälle dokumentiert, in denen die jungen Frauen bei Arbeitsunfällen Finger verloren oder aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen Atemwegserkrankungen erlitten hätten. Wer deshalb vor Ablauf der vereinbarten zwei oder drei Jahre arbeitsunfähig werde, lande auf der Straße – häufig ohne das vereinbarte Geld für den Brautpreis.

Für Barbara Küppers ist das eine „Sklaverei auf Zeit“, die sehr geschickt an indische Traditionen anknüpft: Zwar wurde der Brautpreis 1961 gesetzlich verboten, aber er ist immer noch eine weit verbreitete Sitte. Arme Familien stehen vor dem Problem, dass sie den Preis für ihre Töchter nicht zahlen können. So kommen die „Arbeitsvermittler“ mit ihrem Angebot, dass sich die jungen Frauen dieses Geld selbst verdienen können, gerade recht. Und dass ihre Töchter auf dem Fabrikgelände untergebracht und ihre Außenkontakte dort eingeschränkt werden, stört die Eltern keineswegs: Im Gegenteil, sie wähnen die Mädchen dort in Sicherheit. Aber auch den jungen Frauen erscheint das Angebot einer „Mädchen-Wohngemeinschaft“ zunächst attraktiv. Und viele gehen lieber arbeiten, als mit 14 oder 15 Jahren bereits verheiratet zu werden.

Verbreitet ist die Arbeit unter dem Sumanagli-Schema besonders in Spinnereien, hat terre des hommes in einer 2007 durchgeführten Untersuchung herausgefunden. Diese Branche sei gesetzlich kaum reglementiert, die mächtigen Spinnereibesitzer säßen in den Parlamenten und hätten das verhindert, sagt Barbara Küppers. Und die Spinnereien seien „außerhalb des Radars“ der westlichen Einkäufer, die ihre Verträge mit den Nähereien schlössen.

Terre des hommes fordert, dass westliche Textilhandelsunternehmen ihre gesamte Lieferkette – also auch die Spinnereien – transparent machen und die Arbeit unter dem Sumangali-Schema dort nicht dulden. Gemeinsam mit indischen Nichtregierungsorganisationen fordern sie zudem gesetzliche Regelungen für den Spinnereisektor wie einen Mindestlohn und Regeln für die Unterbringungen der Arbeiterinnen. Zudem unterstützt terre des hommes ein Ausstiegsprogramm für betroffene junge Frauen, die in einem Schutzzentrum des Don Bosco-Ordens Aufnahme finden. Finanziell unterstützt wird dieses Programm durch das Modelunternehmen C&A.

Dass der Einsatz für die Menschenrechte in einer Region wie Tirupur etwas verändern kann, haben terre des hommes und die im Tirupur Peoples Forum zusammengeschlossenen indischen NGOs beim Thema Kinderarbeit erlebt: Seit Anfang der 90ger Jahre ist terre des hommes in Tirupur engagiert, damals gab es in den dortigen Textilfabriken schätzungsweise 40.000 Kinderarbeiter. Der Zusammenschluss der indischen NGOs und ihre gemeinsamen Kampagnen, die Sensibilisierung westlicher Handelsunternehmen und ihr Einsatz sowie schließlich die Mitarbeit der Tirupur Exporters Association waren wichtige Schritte im Kampf gegen die Kinderarbeit, die im Textilsektor heute als abgeschafft gilt.

Foto: Kinderarbeiterinnen in Indien


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