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Rechtslücke hebelt Mitbestimmung aus

In Deutschland ansässige Kapitalgesellschaften die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen müssen ihren Aufsichtsrat auch mit Arbeitnehmern besetzen. Haben sie mehr als 2.000 Angestellte, so muss sogar die Hälfte des Aufsichtsrats aus der Belegschaft stammen. Auf bestimmte ausländische Rechtsformen trifft dies nicht zu, zum Schaden der Angestellten. Immer öfter greifen Unternehmen auf diese Rechtslücke zu und hebeln so die Mitbestimmung aus. Inzwischen sind schon mehr als 200.000 Beschäftigte in Deutschland auf diesem Weg von der Mitbestimmung ausgeschlossen. Experten sehen politischen Handlungsbedarf.

Düsseldorf (csr-news) > In Deutschland ansässige Kapitalgesellschaften die mehr als 500 Mitarbeiter beschäftigen müssen ihren Aufsichtsrat auch mit Arbeitnehmern besetzen. Haben sie mehr als 2.000 Angestellte, so muss sogar die Hälfte des Aufsichtsrats aus der Belegschaft stammen. Auf bestimmte ausländische Rechtsformen trifft dies nicht zu, zum Schaden der Angestellten. Immer öfter greifen Unternehmen auf diese Rechtslücke zu und hebeln so die Mitbestimmung aus. Inzwischen sind schon mehr als 200.000 Beschäftigte in Deutschland auf diesem Weg von der Mitbestimmung ausgeschlossen. Experten sehen politischen Handlungsbedarf.

Die Regelungen der Mitbestimmung stammen noch aus einer Zeit, als ausländische Unternehmens-Rechtsformen in Deutschland nicht verbreitet bzw. zulässig waren. Doch der europäische Einigungsprozess hat auch hierzulande zu einer Verbreitung von Unternehmen gesorgt, die beispielsweise unter B.V., Ltd. oder Plc. firmieren. Auf sie treffen die Bestimmungen des Mitbestimmungsgesetzes bzw. des Drittelbeteiligungsgesetzes nicht zu. Über viele Jahre wurde diese Lücke nur von wenigen Unternehmen erkannt und genutzt. Doch inzwischen nimmt die Zahl der Kapitalgesellschaften, die nach ausländischem Recht firmieren und auf Arbeitnehmer im Aufsichtsrat verzichten, deutlich zu. Sebastian Sick, Mitbestimmungsexperte der Hans-Böckler-Stiftung hat diese Entwicklung untersucht. Demnach waren es zunächst hauptsächlich amerikanische Konzerne, die auf diesem Weg die oftmals ungeliebte deutsche Mitbestimmung umgingen. Doch seit der Jahrtausendwende hat ihre Zahl sichtbar zugenommen und betrifft zunehmend auch deutsche Unternehmen, die unter ausländischer Flagge firmieren. Professor Walter Beyer hat für die Böckler-Stiftung das genaue Ausmaß erhoben. Danach sind inzwischen mehr als 200.000 Arbeitnehmer in 94 Firmen von der unternehmerischen Mitbestimmung ausgeschlossen. Weniger bedeutend sind dabei unselbstständige Niederlassungen ausländischer Konzerne, sie verzeichnen nur einen moderaten Zuwachs, von 10 im Jahr 1995 bis auf 25 im vergangenen Jahr. Ganz anders sieht das bei deutschen Unternehmen aus, die sich eines Konstrukts mit ausländischer Rechtsform bedienen. Nach der Untersuchung von Sick wird meist eine deutsche Kommanditgesellschaft mit einer ausländischen Firmierung wie Ltd. kombiniert. „Oftmals ist die Konstruktion mit ausländischer Rechtsform auf den ersten Blick gar nicht erkennbar“, schreibt Sick, „weil etwa bei einer GmbH & Co. KG, die GmbH nicht deutschem, sondern dem Luxemburger, Schweizer oder österreichischen Recht entspricht“. Bis zum Jahr 2000 gab es drei Unternehmen in Deutschland mit einer derartigen Konstruktion. Inzwischen sind es 69, von denen 51 mehr als 2.000 Mitarbeiter beschäftigen. Am beliebtesten ist dabei die B.V., die niederländische GmbH, gefolgt von der österreichischen GmbH und der Schweizer AG. Erst danach folgt die britische Ltd.

Mitbestimmung blockiert

Quelle: Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung „Der deutschen Mitbestimmung entzogen: Unternehmen mit ausländischer Rechtsform nehmen zu“

Auffällig ist auch die besondere Häufung in einigen Branchen. Besonders in der Logistik und im Einzelhandel hat Sick die Konstruktionen gefunden, oftmals bei bekannten Unternehmen mit mehreren Tausend Beschäftigten. Schon 2006 hatte sich eine Regierungskommission mit dem Thema beschäftigt, doch keinen dringenden Handlungsbedarf gesehen. „Angesichts der jüngsten Entwicklungen sei nun jedoch der Zeitpunkt zum Handeln gekommen“, so Sick. Die Zahl der betroffenen Unternehmen habe „dramatisch zugenommen“ und ganz gleich, „welche Motive hinter der Wahl der Unternehmensform stehen: „Für die Beschäftigten bedeutet der rechtliche Sonderstatus, dass sie ihre Mitbestimmungsrechte nicht wahrnehmen können. Dieser faktische Entzug von Rechten ist nicht gerechtfertigt“. Der nationale Gesetzgeber müsse die Mitbestimmung auf Auslandsgesellschaften „erstrecken“. Zudem sollten in Europa generelle Mindeststandards für die Mitbestimmung gelten“. Besonders absurd an der aktuellen Situation sei, dass sich auch Unternehmen ohne echten Auslandsbezug durch eine bestimmte Rechtsformwahl der Arbeitnehmermitsprache im Aufsichtsrat entziehen könnten, betont Sick. Bloße Briefkastengründungen im Ausland reichten aus, auch wenn das Unternehmen vollständig in Deutschland tätig sei.

Die Untersuchung „Der deutschen Mitbestimmung entzogen: Unternehmen mit ausländischer Rechtsform nehmen zu“ zum Download.


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