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Unternehmer gehen in den Knast: Entrepreneurship hinter Gefängnismauern

Im April 2009 las der Münchener Unternehmer Bernward Jopen in der Financial Times von einem Prison Entrepreneurship Program in den USA. Jopen flog nach Texas, „fing dort Feuer“ und widmete sich fortan gemeinsam mit seiner Tochter Maren Jopen dem Aufbau eines vergleichbaren Programms in Deutschland. Auch Maren Jopen ist keine Sozialarbeiterin: Die Betriebswirtin arbeitete im Marketing eines Telekommunikationsanbieters, bevor sie diesen Job für den Aufbau von Leonhard an den Nagel hängte.

Im April 2009 las der Münchener Unternehmer Bernward Jopen in der Financial Times von einem Prison Entrepreneurship Program in den USA. Jopen flog nach Texas, „fing dort Feuer“ und widmete sich fortan gemeinsam mit seiner Tochter Maren Jopen dem Aufbau eines vergleichbaren Programms in Deutschland. Auch Maren Jopen ist keine Sozialarbeiterin: Die Betriebswirtin arbeitete im Marketing eines Telekommunikationsanbieters, bevor sie diesen Job für den Aufbau von Leonhard an den Nagel hängte.

Von Achim Halfmann

Wer ein Gefängnis besucht, trifft auf sehr unterschiedliche Personen: Junge und Alte, Akademiker – allerdings eher selten – und Ungelernte, Deutsche und Menschen aus der ganzen Welt. Der größere Teil von ihnen lebt für einen eher kurzen Zeitraum hinter Gittern. Fast alle verbindet ein Problem: Nach der Haftentlassung einen (Rück-)Weg in die Arbeit zu finden. Bei ihrer Inhaftierung war die Mehrzahl bereits arbeitslos, die Haftzeit verbessert ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt nicht. Nur wenige wissen, wie sie sich ein straffreies Leben nach dem Gefängnis aufbauen können. Im Gegenteil, findet Maren Jopen: „Die Männer werden im Knast zu besseren Kriminellen.“ Gemeinsam mit ihrem Vater gründete sie die gemeinnützige GmbH Leonhard und bietet Entrepreneurship-Kurse hinter Gittern an. Unternehmensgründungskurse für Gefangene – passt das? Ändert das etwas an den Perspektiven dieser Menschen oder werden Hoffnungen geweckt, die sich in Freiheit nicht erfüllen?

Eigenverantwortung stärken

Holger Patzelt ist Professor für Entrepreneurship an der Technischen Universität München und sagt dazu: „Entrepreneurship stellt die Eigenverantwortung und die eigenen Stärken in den Mittelpunkt. Der Wert dieses Kurses besteht nicht darin, alle Gefangenen zu Unternehmensgründern zu machen. Aber er vermittelt ein anderes Mindset.“ Patzelt hat den 2011 in der JVA Landsberg durchgeführten Leonhard-Pilotkurs wissenschaftlich begleitet. Für Firmengründungen spielten persönliche Vorlieben, Kenntnisse und Netzwerke eine wichtige Rolle. In einem Entrepreneurship-Kurs sei deshalb die Beschäftigung der Teilnehmer mit sich selbst wichtig.

„Während des Kurses schieden solche Teilnehmer aus, die Gründe für ihre Situation vorwiegend bei anderen suchten – beim Staat, Geschäftspartnern oder der Familie. Eine solche Einstellung ermöglicht wenig Zuversicht für die eigene Zukunft“, berichtet Patzelt. „Deutlich erfolgreicher waren Teilnehmer mit der Haltung: ‚Ich habe einen Fehler gemacht und ich werde daraus lernen‘. Diese Männer konnten ihre Situation zunehmend als Chance sehen.“

Dabei hilft ein Entrepreneurship-Training auch solchen Menschen, die anschließend eine abhängige Beschäftigung annehmen. Patzelt: „Unternehmertum ist für mich nicht notwendig eine eigene Firmengründung. Es ist die unternehmerische Einstellung zur eigenen Tätigkeit.“

Aus Erfahrung gelernt

Ein Kontakt zum bayerischen Justizministerium ermöglichte Leonhard den ersten Entrepreneurship-Kurs im Strafvollzug mit damals sieben Teilnehmern. Bis heute besuchten 115 Gefangene die Kurse der gemeinnützigen GmbH.

Bernward und Maren Jopen haben aus den Erfahrungen der ersten Kurse gelernt: Stand am Anfang die Vermittlung von betriebswirtschaftlichem Wissen ganz im Vordergrund, so besitzt heute das Persönlichkeitstraining ein ebensolches Gewicht. Und in die Auswahl der Teilnehmer investiert Leonhard heute mehr Zeit und prüft in Bewerbungsgesprächen eingehend deren Motivation und Verantwortungsbereitschaft.

Teilnehmen können Gefangene mit einer Reststrafe zwischen sechs und zwölf Monaten. Sie müssen die deutsche Sprache beherrschen und dürfen kein Sexualdelikt begangenen haben, weibliche Referenten und Mentoren würden sich in der Zusammenarbeit möglicherweise schwer tun. Ausgeschlossen sind zudem Serienbetrüger: „Denen fühlen wir uns nicht gewachsen“, sagt Maren Jopen. Die Teilnehmer sind zwischen 20 und 60 Jahren alt, der Durchschnitt liegt bei Mitte 30.

Derzeit wir der nächste Leonhard-Kurs in 36 bayerischen Strafanstalten beworben. 16 bis 20 Gefangene werden daran teilnehmen können und nach dem Auswahlverfahren in eine gemeinsame JVA auf eine gemeinsame Abteilung verlegt. Dann steht ihnen 20 Wochen intensiver Arbeit bevor – mit 27 Unterrichtsstunden pro Woche und zusätzlicher Hausarbeit. „Da ist man ganz gut beschäftigt“, so Maren Jopen. Denn etwa die Hälfte der Männer war vor Kursbeginn ohne Arbeit und konnte die eigene Leistungsfähigkeit kaum trainieren.

Hochschulzertifikat „Innovation Specialist“

Maren Jopen: „Wir finden mit den Männern eine Vision für ihre berufliche und private Zukunft und arbeiten dann an dem Weg dorthin.“ Das hilft den Gefangenen aus der Fixierung auf ihre Probleme heraus: Sucht, Verschuldung, zerbrochene Beziehungen – die Liste ist lang. Mancher hatte in seiner Szene ganz gut und ohne viel Anstrengung verdient. „Da konkurrieren wir mit sehr viel Geld“, sagt die Betriebswirtin. Ein offenes Gespräch mit den Männern wird dadurch erleichtert, dass die Leonhard-Mitarbeiter dem Vollzug gegenüber nicht auskunftspflichtig sind, das Besprochene bleibt im Raum.

Am Programmende stehen eine Prüfung und – im Erfolgsfall – das Zertifikat „Innovation & Business Creation Specialist“ der Steinbeis-Hochschule Berlin.

Mentoren aus der Wirtschaft

Zweimal wöchentlich gestalten Gastreferenten aus der freien Wirtschaft das Kursprogramm. Das vermittelt den Teilnehmern eine Begegnung mit den Erwartungen und der Denkweise von Unternehmen. Und fast alle Kursteilnehmer werden nach der Entlassung aus der Haft durch einen persönlichen Mentor, einen ehrenamtlich Tätigen aus dem Wirtschaftsleben, begleitet. Mentor und Mentee finden bei einem Speed-Dating zueinander. Anfangs finden die Begegnungen alle ein bis zwei Wochen statt, irgendwann werden die Abstände größer. In der Regel besteht das Mentorenverhältnis ein Jahr lang. Leonhard bereitet seine Mentoren in einem zweitägigen Seminar auf diese Aufgabe vor, stellt ein Handbuch zur Verfügung und bietet einen regelmäßigen Austausch.

Lohnt der Einsatz?

Etwa ein Viertel der Leonhard-Absolventen gründet nach der Entlassung eine Firma. Häufig sind das kleine und wenig kapitalintensive Dienstleistungsunternehmen: im Pflegebereich, ein PC-Notdienst, ein Hausmeisterservice oder auch ein mobiles Tätowierstudio. Aber es muss ja nicht die eigene Fima sein: Über 60% der Teilnehmer finden im ersten Monat in Freiheit eine Arbeit, und das erhöht ihre Chancen auf ein straffreies Leben und auf gesellschaftliche Teilhabe deutlich.

Trotz der Erfolge ist die finanzielle Zukunft von Leonhard offen. Bis Mitte des Jahres wurden die Kurse zu drei Vierteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert, der Rest kam durch Bußgelder und Spenden zusammen. Für den nun beginnenden Kurs füllen zwei Privatspender und eine Unternehmensinitiative – „weCare“ der Serviceplan Gruppe – den ehemaligen ESF-Anteil aus. Ab dem kommenden Jahr muss eine langfristige Finanzierungslösung gefunden werden. Der bayerische Strafvollzug schätzt solche Programme zwar, finanziell beteiligen wird er sich angesichts anderer drängender Aufgaben aber nicht.

Wie sieht es Maren Jopen heute – vier Jahre nach der radikalen Veränderung in ihrer beruflichen Vita? „Unsere Methode funktioniert, die Arbeit macht mir sehr viel Freude und ist unglaublich sinnvoll.“

Justizvollzug braucht Gesellschaft

Beim bayerischen Justizvollzug findet das Engagement von Leonhard durchweg Anerkennung. „Das Leonhard-Programm schließt eine Lücke bei der Wiedereingliederung von unternehmerisch interessierten Gefangenen in die Arbeitswelt“, so eine Sprecherin. Und sie erfülle ein ganz wichtiges gesellschaftliches Anliegen. Die Wiedereingliederung eines Gefangenen in die Gesellschaft ist ohne die Beteiligung der Gesellschaft nicht zu machen.

Unternehmer gehen in den Knast

So will der bayerische Justizvollzug eine möglichst große Zahl an Unternehmen der freien Wirtschaft für eine Zusammenarbeit gewinnen. Derzeit sind in Bayern 150 Unternehmerbetriebe hinter den Gittern tätig und bieten den Gefangenen eine breite Palette von Tätigkeiten – von einfachen Montagearbeiten bis zu hochqualifizierten Arbeiten als Produktdesigner oder Konstruktionsmechaniker. Die unternehmerische Produktion im Justizvollzug geschieht allerdings unter erschwerten Bedingungen. Dazu gehören ein häufiger Arbeitskräftewechsel und der Einsatz von Gefangenen an berufsfremden Arbeitsplätzen ebenso wie die zeitweise Herausnahme von Gefangenen aus dem Arbeitsprozess, etwa aufgrund von Resozialisierungs- oder Behandlungsmaßnahmen. Und so erzielen die Unternehmerbetriebe im Justizvollzug nur etwa ein Fünftel der Produktivität, die sie draußen erreichen würden, was in der Vergütung angemessen berücksichtigt wird.

Nicht nur der bayerische Justizvollzug wirbt um das unternehmerische Engagement hinter Gittern. „Die Arbeitsbetriebe der Justizvollzugsanstalten sollen Unternehmen eine echte Alternative für eine Produktionsverlagerung in das Ausland bieten“, so die Sprecherin. Der örtlichen Wirtschaft stünden in den Gefängnissen „Produktionsmöglichkeiten in unmittelbarer Firmennähe zur Verfügung, die diese ohne großen Aufwand zur Verwirklichung ihres Unternehmenszieles nutzen“ könnten.

Richtige Leute am richtigen Ort

Warum sich Unternehmer für Gefangene engagieren, begründet Sybille Stempel, Vorstandsmitglied vom Spendenprojekt „weCare“ der Serviceplan Gruppe: „Zum eigenen Erfolg gehört neben unternehmerischen Qualifikationen auch das große Glück, mit den richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um die eigenen Ideen und Fähigkeiten auch positiv und zielgerichtet einsetzen zu können. Leider hat nicht jeder dieses Glück – vielleicht aber dennoch unternehmerische Begabung.“ Die Serviceplan Gruppe will mit ihrer Unterstützung des Leonhard Programms „dazu beitragen, dass Häftlinge eine zweite Chance bekommen, sich unternehmerisch zu qualifizieren und sich damit für das Leben nach dem Gefängnis eine tragfähige berufliche Perspektive zu schaffen.“

Straffällige Menschen brauchen eine Chance auf den (Rück-)Weg in einen Beruf, um ihr Leben in Zukunft legal bewältigen zu können. Und für Unternehmen ist eine funktionierende Gesellschaft die Grundlage ihres Wirtschaftens. Sybille Stempel dazu: „Neben altruistischen Motiven helfen wir natürlich auch aus der Überzeugung heraus, dass, wenn es der Gesellschaft gut geht, es auch den Unternehmen gut geht.“

Achim Halfmann
ist Geschäftsführender Redakteur von CSR NEWS und lebt im Bergischen Land
achim.halfmann@csr-news.net

Mehr über das Leonhard-Programm lesen Sie hier: http://www.leonhard.eu


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