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Schweine unter staatlichem Schutz

Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt hat erste Pläne für das staatliche Tierwohllabel vorgestellt.

Berlin (csr-news) > Im Rahmen der Landwirtschaftsschau „Grüne Woche“ im Januar dieses Jahres hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt die Einführung eines staatlichen Tierlabels für 2018 angekündigt. Es waren nicht viel mehr als diese Worte und so war Kritik und Häme nicht weit. Jetzt hat Schmidt ausführlichere Pläne für die Schweinemast vorgestellt. Demnach soll anhand von 12 Kriterien die Haltungsbedingungen der Schweine bewertet werden.

Grundsätzlich soll das Label mehrere Stufen umfassen – zunächst wird es aber nur eine Einstiegs- und eine Premiumstufe geben, eine weitere Stufe könnte das Label zukünftig ergänzen. Doch der nun vorgelegte Kriterienkatalog umfasst lediglich die Eingangsstufe – die kaum mehr als die gesetzlichen Mindeststandards umfassen. Das Ministerium betont zwar, die Kriterien würden über denen der Initiative Tierwohl liegen, doch von engagiertem Tierschutz ist im Kriterienkatalog nicht viel zu sehen. Beispielsweise soll das Platzangebot für die Tiere erhöht werden. Einem Schwein in der Gewichtsklasse bis 10 Kilogramm stehen gesetzlich 0,15 m² zur Verfügung, mit dem Tierwohllabel sollen es dann 33 Prozent mehr sein.

Zu nah am gesetzlichen Standard

So ließ Kritik auch nicht lange auf sich warten. So hat der Tierschutzbund angekündigt, das staatliche Tierwohllabel nicht länger unterstützen zu wollen. Verbandspräsident Thomas Schröder sagte im Gespräch mit der “Neuen Osnabrücker Zeitung”, die von Bundesagrarminister Christian Schmidt benannten Kriterien blieben zu nah am gesetzlichen Standard. “So schafft man keinen nachhaltigen Tierschutz im Stall”, so Schröder. Der Minister habe den Label-Prozess zu spät gestartet und sich damit selbst in Bedrängnis gebracht. Der Verbandspräsident sprach von übereilten Entscheidungen und Aktivismus, die allein Wahlkampfzwecken dienten. “Der Minister hat für sich entschieden, wie er es macht, dafür muss er auch allein die Verantwortung übernehmen”, so Schröder.

Weitere Tierschutzorganisationen wie die Albert-Schweitzer-Stiftung, der Bund gegen Missbrauch der Tiere, PROVIEH und VIER PFOTEN kritisierten Schmidts Vorschlag. Sie beklagten, dass die Kriterien teilweise unter den gesetzlichen Vorgaben lägen und somit keine Verbesserung für die Tiere erzielt würde. Die im Tierschutzbündnis vereinigten Organisationen erklärten zudem ihren sofortigen Austritt aus der Arbeitsgruppe zum staatlichen Tierwohllabel des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

Akzeptanz bei Verbrauchern und Marktpartnern herstellen

Der Deutsche Bauernverband (DBV) begrüßte Schmidts Vorschlag und nannte die Kriterien ambitioniert. „Es sei wichtig, dass nun endlich dazu Klarheit besteht“, teilte der DBV mit. Jetzt müsse ein Konzept zur Organisation und Umsetzung erstellt werden, damit das das Label von Verbrauchern und Marktpartnern akzeptiert wird und auch der notwendige Mehrwert für die teilnahmewilligen Landwirte sicherstellt werde. Insbesondere sei es wichtig, dass die Möglichkeiten zur Verzahnung mit bestehenden Systemen wie der Initiative Tierwohl genutzt werden. Ohne die Nutzung solcher Synergien werde das Label große Schwierigkeiten haben, über eine Marktnische hinaus zu kommen, so der DBV.

Die Initiative Tierwohl versucht ihrerseits inzwischen klarzustellen, dass die Initiative kein Label sei. „Das bedeutet, der Verbraucher kann nicht erkennen, ob ein Produkt aus einem Tierwohl-Betrieb stammt“. Darauf würden die Verbraucher auch ausdrücklich auf jeder Verpackung hingewiesen. Das hat einen einfachen Grund: Die Produkte in den Geschäften können kaum oder nur mit sehr großem Aufwand bestimmten Betrieben zugeordnet werden. Beispielsweise durchlaufen Schweine im Laufe ihres Lebens drei verschiedene landwirtschaftliche Betriebe (Sauenhaltung, Ferkelaufzucht, Mastbetrieb). Um eine klare Aussage gegenüber den Verbrauchern treffen zu können, müsste jeder dieser Betriebe der Initiative Tierwohl angehören. Das scheint momentan noch nicht der Fall.

Derzeit arbeitet das BMEL am begleitenden Gesetzentwurf zur Einführung des Tierwohllabels. Das Gesetz wird die wesentlichen Eckpunkte und den Rahmen für die Verordnung, in der die Details geregelt werden sollen, vorgeben. Frühestens 2018 können dann die ersten Betriebe zertifiziert werden. Wann Produkte mit dem Label in den Supermärkten liegen, sei momentan noch unklar.

Die Einstiegskriterien des staatlichen Tierwohllabels für die Schweinezucht und die Kritik der Tierschützer:

Platzangebot

Tierwohllabel

Schweine sind gesellige Tiere, die vorzugsweise in Gruppen leben und Hierarchien aufbauen. Ein größeres Platzangebot bietet den Tieren die Möglichkeit, natürliche Verhaltensweisen – wie beispielsweise Spiel- und Erkundungsverhalten – besser auszuleben. Daher wurde entsprechend der Gewichtsklassen der Tierschutznutztierhaltungsverordnung das Platzangebot erhöht (zwischen 14,3 und 33 Prozent, je nach Gewichtsklasse).

Kritik der Tierschützer

Das Tierwohllabel schreibt einem Schwein in der Endmast 1,3 m² Platz vor, statt den gesetzlich vorgeschriebenen 1 m². Das Tierschutzbündnis fordert mind. 50 % mehr Platz (1,5 m² pro Schwein), davon mind. 0,8 m² als Liegebereich. Dieser ist wichtig, damit die Schweine Rückzugsmöglichkeiten haben und ungestört ruhen können. Dieser Ruhebereich muss eingestreut sein, um Liegeschwielen zu vermeiden.

Raufutter und Beschäftigung

Tierwohllabel

In der Einstiegsstufe wird ein ständiger Zugang zu Raufutter; und Beschäftigungsmaterial gefordert. Einhaltung der Empfehlung (EU) 2016/336; Angebot mit Wühlmöglichkeit (z.B. in Raufe mit Auffangschale). In der Summe sollte das Beschäftigungsmaterial und das Raufutter von den Schweinen zu fressen, zu bekauen, zu bewühlen und zu zerstören sein; Ausnahme: Sauen im Abferkelbereich).

Kritik der Tierschützer

Das Tierwohllabel schreibt ständigen Zugang zu Raufutter und Beschäftigungsmaterial für Schweine vor. Der ständige Zugang zu Beschäftigungsmaterial entspricht dem gesetzlichen Mindeststandard, der EU-weit seit fast zehn Jahren gilt (EU-RL 2008/120/EG). Die Tierschützer kritisieren, dass eine Angabe der Mindestmenge für das Raufutter fehlt.

Buchtenstruktur

Tierwohllabel

Das Tierwohllabel sieht in der Eingangsstufe geschlossene Liegefläche (0,1 m² je Ferkel, 5 Prozent Schlitzanteil zu Drainagezwecken) für Aufzuchtferkel vor.

Kritik der Tierschützer

Das Tierwohllabel schreibt eine geschlossene Liegefläche nur für Aufzuchtferkel vor. Zucht- und Mastschweine dürfen weiterhin auf Beton- Vollspaltenböden gehalten werden. Das Tierschutzbündnis fordert eine eingestreute Liegefläche für alle Schweine, die ein bequemes Liegen ermöglicht und eine Buchtenstrukturierung mit ausreichend Rückzugsmöglichkeiten, z.B. auch vor aggressiven Artgenossen bietet.

Fixierung Sauen, Nestbaumaterial

Tierwohllabel

Im Deckzentrum dürfen Sauen max. 4 Tage im Kastenstand gehalten werden.

Kritik der Tierschützer

Das Tierwohllabel verringert die Zeit der Kastenstandhaltung von Sauen im Deckbereich, erlaubt jedoch weiterhin die wochenlange Kastenstandhaltung von Sauen im Abferkelbereich. Der Kastenstand ist ein Metallgestell, das nicht größer ist als die Sau selbst, so dass diese sich nicht einmal umdrehen kann und voll fixiert ist. Der Boden besteht aus Beton-Teilspaltenboden ohne Einstreu. Das für die kurz vor der Geburt stehenden Sauen so wichtige Nestbaumaterial gibt es nicht. Der Mangel an Bewegung und Beschäftigungsmöglichkeiten, das Gezwungensein, dort hin zu koten, wo sich die Sau auch hinlegen muss sowie die Isolation von der Gruppe ist für die Tiere eine Tortur, die zu verschiedenen Gesundheits- und Verhaltensstörungen führt. Nach dem Magdeburger Urteil, das im November 2016 vom Bundesverwaltungsgericht als rechtskräftig bestätigt wurde, sind gängige Kastenstände, in denen eine Sau sich nicht ungehindert in Seitenlage hinlegen kann, im Deckbereich nicht mehr zulässig. Das Tierwohllabel entspricht hier also auch nur dem derzeit gültigen Gesetzesstandard.

Säugephase

Tierwohllabel

Mindestens vierwöchige Säugezeit.

Schwanzkupieren

Tierwohllabel

Dokumentierte Einleitung des Ausstiegs mit Beratung/ Fortbildung: Einhaltung der Empfehlung (EU) 2016/336 (insb. Einzelbetriebliche Risikobewertung, betriebsindividuelle Konzepte unter Einbeziehung von Sauen-, Aufzucht- und Masthaltung mit Zeitplan zum Ausstieg aus dem Halten kupierter Tiere, soweit nach Risikobewertung und ggf. Umsetzung von Maßnahmen möglich, Start mit einzelnen Buchten unkupierter Tiere)

Kritik der Tierschützer

Das routinemäßige Kürzen von Ringelschwänzen ist seit 1994 EU-weit verboten, in Deutschland ist dies in schätzungsweise 99 % der Schweine haltenden Betriebe jedoch geduldete Realität. Die Begründung der Industrie, es ginge nicht anders, weil die Schweine sich sonst die Ringelschwänze gegenseitig abbeißen, rechtfertigt nicht den seit Jahrzehnten geduldeten Rechtsbruch. Nur durch Beschäftigungsmangel, Langeweile, Platznot und Managementfehler fangen die Schweine bereits im Ferkelalter an, sich gegenseitig an den Ringelschwänzen zu knabbern. Alternative Schweinehaltungen zeigen seit Jahrzehnten, dass Schwanzkupieren nicht notwendig ist, wenn Schweine ihren Bedürfnissen entsprechend gehalten werden. Dies bedeutet: jederzeit ausreichend Raufutter wie Heu oder Silage, viel Stroh zum Wühlen und um eine weiche Liegefläche zu bieten, ausreichend adäquate Tränken und Futterplätze, viel mehr Platz, Rückzugsmöglichkeiten und im besten Fall ein Auslauf im Freien.

Ferkelkastration

Tierwohllabel

Verbot der betäubungslosen Ferkelkastration. Dies ist zwar ab 2019 in D gesetzlicher Standard, muss aber im Hinblick auf Import von Ferkeln hier geregelt werden.

Eigenkontrolle

Tierwohllabel

Dokumentiertes Konzept für die Durchführung von Eigenkontrollen nach § 11 Abs. 8 TierSchG (Festlegung für den Betrieb geeigneter Tierwohlindikatoren, Festlegung der Erhebungsmethodik, Festlegung kritischer Grenzwerte, Festlegen von Maßnahmen bei Überschreiten der Grenzwerte, Dokumentation der Ergebnisse und etwaiger Maßnahmen, soweit möglich Berücksichtigung der Schlachthofbefunde).

Tiergesundheitsindex

Tierwohllabel

Die Teilnahme an Erfassungssystemen (z. B. analog Brancheninitiative oder Label Tierschutzbund), sowie der Aufbau eines Benchmarkings und unabhängige Beratung für Betriebe, die schlecht abschneiden, ist Teil des Tierwohllabels.

Transportdauer

Tierwohllabel

Die Transportdauer darf acht Stunden nicht überschreiten.

Kritik der Tierschützer

Das Tierwohllabel schreibt eine maximale Transportdauert von acht Stunden vor. Das Tierschutzbündnis fordert eine maximale Transportdauer von vier Stunden.

Schlachtung

Tierwohllabel

Das Tierwohllabel fordert ein Verfahren zur Kontrolle der Wirksamkeit der sicheren und tiefen Betäubung des Schlachttieres.

Kritik der Tierschützer

Das Tierwohllabel fordert ein Verfahren zur Kontrolle der Wirksamkeit der sicheren und tiefen Betäubung, macht jedoch keine konkreten Vorgaben hierzu. Das Tierschutzbündnis fordert konkrete Maßnahmen, die die hohe Anzahl von Fehlbetäubungen verhindern. Es bedarf konkreter Vorgaben (Kriterienkatalog) zur Feststellung der Wirksamkeit der Betäubung, strengere Kontrollen und Sanktionen von Tierschutzverstößen in allen Bereichen: bei Anlieferung, im Wartebereich, bei Betäubung und Schlachtung. Das Tierschutzbündnis fordert zudem die Erhebung tierbezogener Parameter am Schlachthof mit Rückmeldung an die Landwirte.

Tierschutzfortbildung

Tierwohllabel

Jährliche Fortbildung zu Tierschutzthemen.

 

 


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