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Wirtschaftsethik – die Perspektiven

Rainer Sturm / pixelio.de

Wie und wohin entwickeln sich die wirtschaftsethische Lehre und Forschung? Professoren aus Deutschland, der Schweiz und Österreich nehmen Stellung.

Velbert (csr-news) – Das CSR MAGAZIN hat Hochschullehrer aus Deutschland, der Schweiz und Österreich danach gefragt, wie die Wirtschaftsethik in die Lehre eingebunden sein sollte, was eine Beschäftigung damit bewirken kann und wie es um die Nachhaltigkeit der Hochschulen selbst bestellt ist. Einen Übersichtsbeitrag dazu bringt die März-Ausgabe des CSR MAGAZIN. Hier veröffentlichen wir die Antworten der Hochschullehrenden im Volltext. Heute:

Wie und wohin entwickeln sich die wirtschaftsethische Lehre und Forschung?

Prof. Ludger Heidbrink (Christian-Albrechts-Universität Kiel): Meiner Ansicht nach in zwei Richtungen: Es werden mehr Grundlagenthemen behandelt, etwa der Zusammenhang von Moral und Rationalität, Präferenzen und Gründen, Gemeinwohl und Wohlfahrt, um nur einige Punkte zu nennen. Hier gehen Forschung und Lehre stärker in Richtung Philosophy & Economics oder Wirtschaftsphilosophie. Zum anderen spielen die empirische und experimentelle Forschung eine immer wichtigere Rolle: Wie wirken moralische Anreize in der Realität? Wie reagieren Akteure auf Informationen oder soziale Normen? Welches Unternehmensdesign hilft dabei, regelkonformes Verhalten zu unterstützen? Die Frage der tatsächlichen Wirkung wirtschaftsethischer Theorien und Modelle wird in Zukunft wichtiger werden.

Prof. Stefan Heinemann (FOM Hochschule): Die Forschung wird meiner Wahrnehmung nach diversifizierter und breiter, die Lehre hat es noch immer nicht ganz leicht. Aber pauschal lässt sich das kaum sagen, und letztlich ist es eine hochschulscharfe Frage. An der FOM Hochschule jedenfalls nehmen Forschungsverankerung ebenso zu, wie die seit 2010 erfolgreich betrieben Integration in die Lehre.

Prof. Annette Kleinfeld (Hochschule Konstanz): Das hängt natürlich bis zu einem gewissen Grad von der Institution ab: An Hochschulen für angewandte Wissenschaften wie der meinen geht es naturgemäß eher um anwendungs- und praxisbezogene Forschung, von der auch die Aktualität und der Praxisbezug der Lehre wiederum profitieren. Die Entwicklungen in der Praxis haben aus meiner Sicht die in Europa zunächst sehr akademisch geführte Diskussion über Wirtschaftsethik zu Beginn des 21. Jhd. schnell überholt. Es geht heute zunehmend um Fragen des “Wie”, kaum noch um die des “Ob” oder “Warum”. Und Vieles, was in den 1990-iger Jahren in der Praxis nur von bestimmten “Überzeugungstätern” an der Spitze von Unternehmen nachgefragt wurde, ist inzwischen in der Praxis “mainstream” geworden – zum Beispiel ein ethisch fundiertes Compliancemanagement, auch Integritätsmanagement genannt, die Anerkenntnis der unternehmerischen Verantwortung gegenüber den eigenen Anspruchsgruppen und der Gesellschaft insgesamt (CSR), die ohne ethische Reflexion nicht einzulösen ist, etc. Von diesen Entwicklungen profitieren heute natürlich Forschung und Lehre, weil aus einem vermeintlich theorielastigen trockenen Thema ein unverzichtbarer Erfolgsfaktor unternehmerischen Handelns unter den Rahmenbedingungen unsres Jahrhunderts geworden ist. Und die Interessen der “neuen” Generation von Arbeitnehmern, zu denen auch unsre Studierenden gehören, unterstützen diese Entwicklung: Die Frage nach dem Sinn und der Verantwortbarkeit dessen, womit ich künftig mein Geld verdiene, hat dort während der letzten Jahre signifikant zugenommen.

Prof. Nick Lin-Hi (Universität Vechta): Die Akzeptanz von wirtschaftsethischen Themen in Forschung und Lehre hat in den letzten Jahren erfreulicherweise deutlich zugenommen. In immer mehr Hochschulen finden sich Angebote im Bereich Wirtschaftsethik, welche zudem von Studierenden positiv wahrgenommen werden. Zudem lässt feststellen, dass wirtschaftsethische Kompetenzen auch immer mehr als betriebswirtschaftlich wichtig wahrgenommen werden, was früher nicht immer der Fall war. Anders formuliert verschwindet die Vorstellung, Wirtschaftsethik habe etwas mit Gutmenschentum zu tun. Vielmehr wird der Bereich heute als integraler Bestandteil einer guten und langfristig erfolgreichen Unternehmensführung gesehen. Letzteres ist sicherlich auch auf die wirtschaftsethische Forschung zurückzuführen. Wir sehen hier, dass wirtschaftsethische Beiträge heute nicht mehr nur in Nischenzeitschriften veröffentlich werden, sondern auch in betriebswirtschaftlichen Standardzeitschriften. Es gibt mittlerweile viele gute Beiträge in international renommierten Journals, welche etwa quantitativ die Bedeutung von wirtschaftsethischen Themen wie CSR oder Nachhaltigkeitsmanagement deutlich machen.

Dr. Daniela Ortiz (FHWien der WKW): Es zeigt sich ein Trend, dass Ethik und Nachhaltigkeit in den Kernfächern der betriebswirtschaftlichen Ausbildung integriert werden. Vorrangiges Ziel ist dabei die allgemeine Professionalisierung des Faches, denn es geht dabei nicht nur um das Erlernen von Handlungstheorien, sondern auch um die Vermittlung von Problemlösungskompetenzen. Akkreditierungs-Organisationen wie AACSB und EQUIS fordern daher ebenso diese Qualitätskriterien. Verantwortungsvolles Management wird zunehmend als eine grundlegende Fertigkeit von WirtschaftsabsolventInnen gesehen. Als eine Initiative zur Förderung von entsprechenden Richtlinien und Prinzipien dient das Netzwerk PRME (Principles of Responsible Management), einer Suborganisation des UNGC (United Nations Global Compact).

Prof. Guido Palazzo (Universität Lausanne): Die Entwicklung, wie man an den oben genannten Titeln unserer Kurse sieht, geht hin zu spezialisierter Differenzierung, so dass Themen wie Compliance, Menschenrechte oder Umweltschutz separat von Experten abgedeckt werden.

Prof. Markus Scholz (FHWien der WKW): Außerdem ist es nötig, dass man sich stärker mit den Anforderungen von unterschiedlichen Branchen und Unternehmensgrößen auseinandersetzt. Die bestehenden Konzepte zum Management von sozialen und ökologischen Aspekten von Geschäftsprozessen orientieren sich weitgehend am Kontext großer Unternehmen, deren Übertragung auf KMU nur begrenzt gelingt. Darauf müssen Wirtschaftshochschulen achten und künftige Führungskräfte entsprechend vorbereiten.

Dr. Bernd Wagner (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf): Ich würde hier insbesondere die inter- und transdisziplinäre Orientierung als starkes Element von Lehre und Forschung hervorheben.

Prof. Jürgen Weibler (Universität Hagen): Hier kann ein gewisses “Hin und Her” konstatiert werden, zumindest für den Bereich CSR/Unternehmensethik. In einer ersten Phase, ca. in den 1980er Jahren, war die Diskussion überaus kritisch geprägt, es dominerte quasi die (ethische) Frage: “Was ist eine ethische Unternehmensführung?”. Referenz waren dann tugend-, verantwortungs- und diskursethische Ansätze. Danach, ab ca. den 1990er Jahren, wurde die Diskussion allmählich “domestiziert”, erhielt einen eher affirmativen Charakter. In den Mittelpunkt wurde die Frage gerückt: “Lohnt sich ethische Unternehmensführung?” … die dann sogleich umfassend bejaht wurde, womit das Problem eigentlich keines mehr war. In einer aktuellen Phase, sagen wir seit 2008, mehren sich allerdings wieder die kritischen Stimmen, die dem allgemeinen Instrumentalismus und Harmonismus der Mainstream-Wirtschaftsethik, die nicht zuletzt methodisch als aufgehübschte Fortsetzung des gesetzten ökonomischen Imperativs daherkommt, wenig abgewinnen können.

Bei den Themen “Ethik” und “CSR” geht es nicht nur um deren institutionelle Verankerung, sondern auch um ethisch orientiert / verantwortungsvoll handelnde Individuen.


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