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Soziale Nachhaltigkeitssiegel: Versprechen und Realität

© Couleur/CCO

Verbraucher sind bereit, mehr für Kaffee zu bezahlen, um Einkommen und Lebensbedingungen der Fairtrade zertifizierten Produzenten zu verbessern.

Berlin (csr-news) > Ohne Zugangsbeschränkung lassen sich aber zu viele Kaffeekooperativen zertifizieren, jede kann nur einen Teil ihrer Produktion mit dem Siegel absetzen. Empirisch findet sich kaum ein positiver Effekt der Zertifizierung auf das Einkommen der Landwirte, aber teilweise auf soziale Indikatoren

Fairtrade-Siegel sollen die Einkommen und Lebensbedingungen von Produzenten erhöhen und so zu mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel führen. Ökonomische Überlegungen und empirische Untersuchungen zeigen jedoch, dass dieses Ziel bei Kaffee nur eingeschränkt erreicht wird: Das Fairtrade-Siegel führt bestenfalls zu geringen Einkommenserhöhungen für die Kaffeebauern. Auch hinsichtlich der Vorteile durch geringere Einkommensschwankungen, Zahlungen, die an die Umsetzung sozialer Projekte gebunden sind, sowie einem besseren Zugang zu Krediten sind die Ergebnisse gemischt. Für die Röstereien und Einzelhandelsunternehmen ist Fairtrade ein weiteres Mittel zur Marktsegmentierung.

Interview mit Helene Naegele

Dr. Helene Naegele, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Wettbewerb und Verbraucher am DIW Berlin.

„Die Logik funktioniert nicht so, wie sie ursprünglich gedacht war“

Frau Naegele, Sie haben soziale Nachhaltigkeitssiegel am Beispiel von Fairtrade-Kaffee unter die Lupe genommen. Welche Frage stand dabei im Fokus Ihrer Untersuchung?

Wir haben uns angeschaut, wie die Röstereien dieses Siegel benutzen, um Produkte auf dem Kaffeemarkt zu differenzieren. Das heißt, wir haben analysiert, unter welchen Bedingungen die Kaffeemarken eine Produktkonstellation wie in Deutschland herbeiführen: In Deutschland bieten alle großen Kaffeeproduzenten sowohl Fairtrade-zertifizierten als auch nicht zertifizierten und häufig auch noch Rainforest Alliance- oder UTZ-zertifizierten Kaffee an, während es andere Länder gibt, wo der Markt sehr viel mehr segmentiert ist. Dort bieten Kaffeeanbieter nicht beides auf einmal an. Das hat erst einmal mit den Bauern nichts zu tun, sondern eher mit den Röstereien.

Was bringt denn den großen Konzernen die Diversifizierung am Markt?

Wenn die Konsumenten bereit sind, für den Fairtrade-gelabelten Kaffee mehr zu bezahlen und weniger preissensitiv sind, dann können die Kaffeeröstereien auf diese Produkte höhere Margen aufschlagen. Dieser Preisaufschlag ist für den Endverbraucher höher als der Fairtrade-Preisaufschlag für den Bauern.

Soziale Nachhaltigkeitssiegel sollen für mehr Gerechtigkeit im Internationalen Handel sorgen. In wieweit wird dieses Versprechen eingelöst?

Das System funktioniert insofern, dass der Fairtrade-Bauer für jedes Pfund Kaffee, das ein Konsument im Supermarkt mit dem Fairtrade-Siegel kauft, wirklich mehr Geld bekommt. Nun ist es so, dass häufig der Konsument im Supermarkt wesentlich mehr drauf zahlt, als der Bauer dann für dieses Pfund Kaffee auch bekommt, weil der Röster und der Supermarkt sich auch noch einen Teil einstecken. Den meisten Konsumenten ist wahrscheinlich nicht klar, dass der Bauer auch Lizenzgebühren zahlen muss, um an diesem System teilzunehmen. Das heißt, jedes Jahr müssen die zertifizierten Kooperativen der Fairtrade-Organisation eine gewisse Summe geben. Ob der Bauer dann am Ende des Jahres mehr oder weniger Geld hat, hängt davon ab, wie viel Kaffee er wirklich mit dem Siegel absetzen kann. Die empirische Forschung hat gezeigt, dass sich das meist ungefähr aufwiegt und die Bauern am Ende ungefähr so gut dastehen, als hätten sie nicht mitgemacht.

Würden Sie so weit gehen, zu sagen, dass es sich bei einem solchen Fairtrade-Siegel im Prinzip um Etikettenschwindel handelt?

Nein, soweit würde ich nicht gehen. Ich denke, dass die Fairtrade-Organisation es durchaus gut meint, aber dass die Logik nicht so funktioniert, wie sie ursprünglich von den Fairtrade-Initiatoren gedacht war. Das Problem ist, dass sich immer mehr Kooperativen zertifizieren lassen und es irgendwann so viele Kooperativen im System gibt, dass jede einzelne nur noch einen kleinen Teil ihrer Produktion durch Fairtrade absetzen kann. Ich denke, das Ganze krankt daran, dass man versucht, sich möglichst nah an Marktmechanismen zu orientieren und diese trotzdem zu umgehen. Das funktioniert in dieser Form nicht.

Warum?

Ich denke, das wird klar, wenn man das Fairtrade-System mit dem Bio-Siegel vergleicht. Das Bio-Siegel greift in die Produktionsart ein. Man könnte sich im Prinzip vorstellen, dass die gesamte weltweite Produktion von Kaffee Bio-zertifiziert hergestellt wird und weltweit weniger Pestizide verwendet werden. Bei Fairtrade würde diese Logik nicht funktionieren. Wenn aller Kaffee Fairtrade-gelabelt wäre und alle Konsumenten nur noch Fairtrade-Kaffee kaufen würden, dann wäre der Fairtradepreis der normale Marktpreis. In einem solchen Szenario würde in manchen Jahren vielleicht noch der Mindestpreis eine Rolle spielen, in den meisten Jahren wäre jedoch im Prinzip alles genauso wie ohne Fairtrade. Gilt aber der Mindestpreis, übersteigt das Angebot die Nachfrage und die Bauern könnten wiederum nur einen Teil ihrer Ernte absetzen.

Das Gespräch führte Erich Wittenberg

Das Interview erschien im Newsletter des DIW Berlin vom 28. November 2018.


Originalpublikation:

Pio Baake, Jana Friedrichsen und Helene Naegele (2018): Soziale Nachhaltigkeitssiegel: Versprechen und Realität am Beispiel von Fairtrade-Kaffee. DIW Wochenbericht Nr. 48.
https://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.608371.de
DOI: https://doi.org/10.18723/diw_wb:2018-48-1


 


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