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Lobbying in Deutschland – Defizite bei der Regulierung

Es fehlt an Transparenz und an einem klaren Verständnis von Lobbying. In einer aktuellen Studie befasst sich die Organisation Transparency International mit dem Einfluss der Lobbyisten auf politische Entscheidungsprozesse in Deutschland. Wer sind sie, was machen sie und wann fängt Lobbyismus an problematisch zu werden? Die Studie liefert Antworten und stellt auch Forderungen auf.

Berlin (csr-news) > Es fehlt an Transparenz und an einem klaren Verständnis von Lobbying. In einer aktuellen Studie befasst sich die Organisation Transparency International mit dem Einfluss der Lobbyisten auf politische Entscheidungsprozesse in Deutschland. Wer sind sie, was machen sie und wann fängt Lobbyismus an problematisch zu werden? Die Studie liefert Antworten und stellt auch Forderungen auf.

Ein Anfang ist gemacht, zurücklehnen aber noch lange nicht angesagt. Zwar zeigt die Ratifizierung der UN Konvention gegen Korruption (Bericht auf CSR-NEWS) und der Beschluss der Regierungskoalition zu einer gesetzlichen Karenzzeitregel (Bericht auf CSR-NEWS) eine positive Entwicklung auf, dennoch bleibt nach Ansicht von Transparency International noch eine ganze Reihe von Verbesserungsnotwendigkeiten bestehen. Die Selbstregulierung durch die Interessenvertreter ist bisher unzureichend geblieben und bietet keine Alternative zu gesetzlichen Regelungen. Zudem unterstreichen die zahlreichen Wechsel von ehemaligen Regierungsmitgliedern in die Wirtschaft, dass auch auf Seiten der Politik dringender Handlungsbedarf besteht. Prof. Edda Müller, Vorsitzende von Transparency Deutschland: „Die Bundesregierung hat letzte Woche verkündet, ein eigenes Gremium zu schaffen, das mögliche Interessenkonflikte beim Wechsel von ehemaligen Ministern und Parlamentarischen Staatssekretären beurteilt. Dieses Gremium muss auch für Transparenz und Lobbykontrolle zuständig sein. Dazu gehört die Überwachung eines einzuführenden aussagefähigen Lobbyistenregisters.“

Um den fairen Zugang aller Interessen zu gewährleisten und den Einfluss von Interessen auf die Gesetzesvorbereitung nachvollziehen zu können und politisch diskutierbar zu machen, fordert Transparency die Einführung einer legislativen Fußspur. Hierzu soll in der Begründung eines Gesetzesentwurfs genau dokumentiert werden, wie das Gesetz entstanden ist, d. h., welche Positionen bei einzelnen Paragrafen dafür oder dagegen vorgebracht wurden. Damit würde öffentlich gemacht, welche Interessen an welchen Gesetzen vor allem in den Ministerien mitgewirkt haben und dabei berücksichtigt oder auch abgelehnt wurden. Diese Anforderung ist in die gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien aufzunehmen und der Einfluss von Interessen auf den Gesetzentwurf zum Gegenstand der Debatte in der ersten Lesung eines Gesetzes im Bundestag zu machen. „Die Öffentlichkeit muss über den Austausch von Politik und Interessen informiert werden. Unbestritten ist, dass es einen Unterschied zwischen starken und schwachen Interessen gibt. Welche Einflüsse in einen Gesetzgebungsprozess eingeflossen sind, muss offengelegt werden“, so der Autor der Studie Rudolf Speth.

Dabei fällt es schon schwer, einen Überblick über das Lobby-Geschehen zu bekommen. Denn dazu ist es notwendig erstmal klar zu definieren, was Lobbyismus genau heißt und wer als Lobbyist zu bezeichnen ist. „Dies ist keineswegs eine akademische Fingerübung“, schreiben die Autoren, „sondern greift in die Grundstrukturen des politischen Systems ein. Schließlich geht es um Macht und Einfluss und beides ist höchst unterschiedlich verteilt. Ohne ein klares Verständnis kann Regulierung aber weder auf Seiten der Politik noch auf Seiten der Einflussnehmer greifen. Lobbyismus ist keine Korruption betonen die Autoren, „vielmehr geht es um Fragen der Transparenz“. In der Folge sind selbst Zahlen zum Ausmaß und der Intensität beispielsweise der in Berlin tätigen Lobbyisten nur Schätzungen. Danach geht Transparency International von rund 4.000 bundesweit tätigen Verbänden aus, die zwischen drei und 120 Mitarbeiter beschäftigen. Sie dominieren das Geschäft mit dem Lobbyismus. Aber es gehören noch mehr dazu, etwa 120 Unternehmensrepräsentanzen mit durchschnittlich vier Mitarbeitern, etwa 90 Public Affairs-Agenturen die zusammen rund 1.000 Mitarbeiter beschäftigen. Weiterhin haben 50 Think Tanks ihren Sitz in Berlin, ebenso wie 20 Anwaltssozietäten die sich vorrangig mit Interessenvertretung beschäftigen. Etwa 200 Wissenschaftler sind in Beiräten oder als Gutachter tätig, rund 30 Unternehmensberatungen werden dem Lobbyismus zugerechnet, sowie ebenso viele wissenschaftliche Institute und Hochschuleinrichtungen. 25 Stiftungen, die politikberatend tätig sind, werden dazu gezählt und etwa 300 Einzellobbyisten und Politikberater. Alleine diese Aufzählung zeigt schon das Dickicht, belastbare Zahlen zu deren finanzielle Aufwendungen und Umsätze sind nach Angaben der Autoren schon gar nicht mehr möglich. Um in diesen Dschungel mehr Klarheit zu bekommen, fordert Transparency International die Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters, möglichst verknüpft mit einem Verhaltenskodex und Sanktionsmöglichkeiten durch einen Beauftragten für Transparenz und Lobbykontrolle. Bislang gibt es in Deutschland kein robustes ethisches Regelwerk für Lobbyisten und für das Lobbying, schreiben die Autoren. „Es fehlen aber weiterhin übergreifende Strukturen, die eine Beobachtung und Sanktionierung des Lobbying jenseits der einzelnen Organisationen möglich machen“. Dies könnte entweder durch gesetzliche Regulierungen oder durch Selbstregulierungsformen geschehen. Erste Ansätze der Selbstregulierung des Lobbying in Deutschland gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung, degepol. Für die dort organisierten Politikberater gilt ein verbindlicher Verhaltenskodex. Integrität wird dort als „die Einhaltung der demokratischen Spielregeln sowie die Achtung der demokratischen Grundordnung“ definiert. Der Verhaltenskodex enthält Regelungen zu Wahrhaftigkeit, Diskretion, Respekt, zur Trennung zwischen beruflicher Tätigkeit und politischen Ämtern, zu Korruption und Antidiskriminierung.

Insgesamt hat Transparency International zehn Forderungen gestellt:

  • Einführung eines verpflichtenden Lobbyistenregisters verknüpft mit einem Verhaltenskodex und Sanktionierungsmöglichkeiten durch einen Beauftragten für Transparenz und Lobbykontrolle.
  • Beauftragter für Transparenz und Lobbykontrolle für die Führung und Überwachung des Lobbyistenregisters und die Beobachtung der legislativen Fußspur.
  • Transparenz der Nebeneinkünfte der Bundestagsabgeordneten mit einer Veröffentlichungspflicht auf Euro und Cent.
  • Fortentwicklung der Verhaltensregeln durch die Einführung einer Wertgrenze von 150 Euro für geldwerte Zuwendungen Dritter und ein Verbot der Annahme von Direktspenden.
  • Transparenz bei Parteispenden und –sponsoring sowie die Gleichstellung von Parteispenden und -sponsoring.
  • Legislative Fußspur in Regierungsentwürfen die dokumentiert, welcher externe Sachverstand bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfs an welchen Stellen eingeflossen ist.
  • Externe Mitwirkung besser regulieren durch die Gewährleistung eines fairen Zugangs aller gesellschaftlichen Interessen und deren Offenlegung in einem jährlichen Bericht.
  • Transparenz bei der Besetzung von Beratungsgremien mit einem Interessenregister, das finanzielle Interessen sowie haupt- und nebenamtliche Tätigkeiten der vergangenen bis zu fünf Jahre offenlegt.
  • Karenzzeiten beim Ausscheiden aus dem Amt bzw. dem Dienst von mindestens drei Jahren für Regierungsmitglieder sowie Parlamentarische Staatssekretäre, wenn ein Zusammenhang zwischen der bisher ausgeübten Tätigkeit und der nach dem Ausscheiden aus dem Dienst beabsichtigten Tätigkeit besteht.
  • Verbandsklage für zivilgesellschaftliche Organisationen bei unzulässiger Einflussnahme. Gegenstand der Klagebefugnis könnten z.B. Verstöße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, der Öffentlichkeit und Ausgewogenheit bei der Vorbereitung bindender politischer Entscheidungen sein.

Der Bericht ist Teil eines Projekts „Lifting the Lid on Lobbying: Taking Secrecy out of Politics in Europe“ von Transparency International, das von der europäische Kommission finanziell unterstützt wird. Es hat zum Ziel, bestehende Regulierungen und Praktiken im Bereich des Lobbying in 19 europäischen Ländern darzustellen und Empfehlungen für Entscheidungsträger sowie Interessenvertreter zu formulieren. Im Rahmen des Projekts wurde eine quantitative Untersuchung über die Situation des Lobbyismus in Deutschland durchgeführt. Die Ergebnisse:

TI-lobbying

 

Der vollständige Bericht „Lobbying in Deutschland“ mit ausführlichen Fallstudien zum Download.


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